Ein vorweihnachtlicher Schulausflug führte die Klassen 7 a, 7 b und 7 c der Oberschule Flöha-Plaue mit ihren begleitenden Lehrkräften in die Räucherkerzenmanufaktur “Zum Weihrichkarzl“, wo wir das Handwerk von Anfang an bestaunen konnten. Die Erzgebirgsbahn organisierte uns als große Gruppe eine reibungslose An- und Abreise. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

Nach der Ankunft bot das großzügige Anwesen Schülern und Lehrern zunächst die Gelegenheit, sich nach der Busfahrt die Füße zu vertreten und sich in der typisch erzgebirgischen Idylle umzuschauen. Auf dem Dreiseitenhof waren bereits Waschkübel und Seife ersichtlich, um sich nach vollzogener Arbeit die kohleschwarzen Hände zu waschen. Aber derjenige, der sich zu einem fairen Eintrittspreis nicht die Hände beschmutzen möchte, verpasst eine großartige Gelegenheit, etwas verblüffend Einfaches mit traditionellem Zauber selbst anzufertigen. Das Anlegen einer originalen „Karzl-Schürz“ ist Pflicht vor Betreten der Werkstatt.

Mit warmen Getränken lauschten wir gespannt der Geschichte des Handwerks und der Entwicklung der Tradition. Wie entstand der Kult um ein kleines, kegelförmiges Räucherkerzchen aus dem Erzgebirge? Das wollte auch ich mit meinem Mainzer Ursprung verstehen. Nachdem ich in Sachsen eine zweite Heimat gefunden habe, wollte ich den erzgebirgischen Räucherkerzenbrauch zu Weihnachten kennenlernen, denn die einzigen Räucherkerzen, die ich aus dem Rhein-Main-Gebiet kannte, waren längliche Stengel. Und diese zündet man eher zu esoterischen Zwecken, und nicht unbedingt zur Weihnachtszeit an. Nachdem die Schüler und Schülerinnen die Gelegenheit erhielten, durch das eigenständige Entzünden eines „Karzls“ ein wahrhaftig feierliches Erfolgserlebnis zu erzielen, wollte auch ich es ausprobieren – das „Mainzelmädchen“, das noch nie ein „Weihrichkarzl“ in der Hand hielt. Es gelang mir auf Anhieb, ich stellte den kleinen Kegel in einen „Raachermanne“ und das „Karzl“ entfaltete glühend sein Weihraucharoma. Auf kleinen Regalen in der Mitte der Tische waren auch noch Gläser mit Aromen wie Lavendel, Zimt, Vanille oder Zandelholz vorzufinden.

Zur Einführung konnten wir gespannt einigen Erzählungen rund um das kleine, kegelförmige „Weihrichkarzl“ lauschen. Jede Tradition hat ihren Kern, und so entstand das Handwerk des „Karzl“-formens in den späten 1920er-Jahren, als karges Zubrot in der wirtschaftlich instabilen Nachkriegszeit. So begann man, Räucherkerzen aus Holzkohle und natürlichen Harzen herzustellen. Für einen Laib Brot bezahlte man damals 36 Pfennige, und nicht selten waren es die Kinder, die am Formen der Räucherkerzen und an dessen Weiterverkauf für einen Pfennig pro Stück Spaß fanden. Man kann sich vorstellen, wie viele Kerzen hergestellt- und welcher Aufwand betrieben werden musste, um den Preis für einen Laib Brot zu decken. Als Ersatz von bzw. Zusatz zu den Harzen wird den „Karzln“ mittlerweile eine durchsichtige Masse von Kartoffelstärke beigegeben. Vermischt mit den Aromen und der Holzkohle ergeben diese Bestandteile eine Masse, die einem Mürbeteig gleicht und schnell anfängt, zu trocknen. Dementsprechend schnell hatten wir also alle schon die typisch schwarzen Kohlehände als wir anfingen, den Teig kräftig zu kneten. Mit einer Walze, die einem Nudelholz gleicht, wurde der Teig weiter geglättet und der Fladen wurde wiederum in mehrere Streifen geschnitten. Diese Streifen wurden im nächsten Schritt zu kleinen Dreiecken, bevor wir sie mit viel Feingefühl zu förmigen Kegeln rollten. Ich hätte es nicht von mir gedacht, aber ein nötiges Feingefühl dafür hatte ich sehr schnell und leicht entwickelt.

Jeder durfte das komplette Material seines Fladens zu „Karzln“ verarbeiten und zum Trocknen in Kästchen packen. Die kleinen Mitbringsel brauchten nun zwei Wochen, um vollständig zum Räuchern auszutrocknen. Man sollte zwischendurch nicht vergessen, sie zu vorsichtig zu bewegen, damit sie nicht aneinanderkleben oder auseinanderfallen, man sollte sie trocken lagern und möglichst nicht zu warm, denn der Weihrach entfaltet ab 37 Grad Celsius sein Aroma. Aber so lange hätten wir noch nicht einmal warten müssen, denn jeder Teilnehmer bekam zum „Vorab-Testräuchern“ ein Päckchen vorgefertigte „Karzl“ geschenkt.

Wenn man eine urige Holztreppe hinaufsteigt, gelangt man in ein Geschäft, in dem alles geboten wird, was zur erzgebirgischen Räucher- und Handwerkstradition rund um die Weihnachtszeit gehört. Neben Schwibbögen findet man Räuchermännchen, kleine Erz-Bergmänner, Räucherhäuschen und sämtliche erdenkliche Laubsägearbeiten. Ich befand mich plötzlich in einer Vielfalt, die ich von der rhein-mainischen Weihnacht gar nicht kannte und die mich einfach nur erstaunt hat! Was man hier bekommt, ist originales Handwerk, für das man jeden Preis gerne zahlt. Hier feiert man die Adventszeit in wundervoller und angemessener Oppulenz zusammen, hier kann man sich zu Hause fühlen! Jetzt ist Weihnacht – willkommen im Erzgebirge!

Michelle Köppen
Lehramtsreferendarin (Englisch/Deutsch) an der Oberschule Flöha-Plaue.